Von der Industrialisierung zum Ersten Weltkrieg

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das kulturelle Leben vielgestaltiger, was sich insbesondere in den Gründungen von Vereinen niederschlug: 1838 wurde mit dem Gesangverein Frohsinn Eggenstein der allererste Verein überhaupt gegründet, es folgten 1864 die Freiwillige Feuerwehr Eggenstein, 1865 die Freiwillige Feuerwehr Leopoldshafen, 1874 der Frauenverein der Evangelischen Kirche, 1889 der Gesangverein Fidelia Leopoldshafen und 1894 die Turngemeinde Eggenstein. Auch in den Bereichen Geldwirtschaft und Landwirtschaft wurden vorhandene Ressourcen gebündelt: 1873 erfolgte mit der Gründung der Spar- und Darlehenskasse Eggenstein die erstmalige Errichtung einer derartigen Institution in ganz Baden. 1885 wurde die Landwirtschaftlichen Ein- und Verkaufsgenossenschaft gegründet.

Der Bau der Rheintaleisenbahn in den Jahren 1869 bis 1870 eröffnete der großstadtnahen Einwohnerschaft ganz neue Erwerbsmöglichkeiten. Während in Eggenstein bereits im Eröffnungsjahr eine Haltestelle eingerichtet und ein Bahnhofsgebäude gebaut wurde, musste Leopoldshafen noch lange und unter großem Einsatz für einen direkten Zuganschluß kämpfen. Erst 1874 wurde diesem Wunsch endgültig entsprochen. Immer mehr Einwohner pendelten ab diesem Zeitpunkt nach Karlsruhe, um vergleichsweise gut bezahlte Stellungen in Industriebetrieben anzunehmen. Da vor allem die jungen Menschen den harten Broterwerb in der Landwirtschaft ablehnten, begann damit auch für diesen Erwerbssektor eine Wendezeit.

Die zunehmende Technisierung und Industrialisierung hielt in Eggenstein nach und nach Einzug: um 1890 beschafften sich Adam Jahraus und dessen Sohn Fritz als erste Eggensteiner eine Dreschmaschine und sehr zum Schrecken mancher Zeitgenossen sah man neben dem ohnehin unheimlich wirkenden Zugverkehr schon bald auf der Hauptstraße die ersten Fahrräder und Automobile umherfahren. So manch ein Dorfbewohner in Eggenstein und Leopoldshafen mag gespürt haben, dass sich damit die ruhigen Zeiten ihrem Ende entgegenneigten und sich die Welt nun immer schneller und schneller drehen würde. Die Veränderungen wurden daher von den einen begrüßt und von den anderen beklagt. Manche witterten schon das Hereinbrechen der „Endzeit". 1865 gelangte der Pfarrverweser Karl August Keerl nach Eggenstein, dessen fanatischen Reden über die Offenbarung des Johannes mächtigen Aufruhr unter den Leuten verursachten. Zu allem Unglück schienen sich die „göttlichen Zeichen" zu mehren: bei einer Renovierung des Schul- und Rathausgebäudes 1866/67 wurde die bislang an der Außenwand angebrachte Statue des Ortsheiligen Vitus entfernt. Das hätten die Eggensteiner besser nicht tun sollen: ein Teil des Rathauses stürzte kurz darauf ein und die Speicherfrucht ergoß sich über die Hauptstraße. Im Ort bewerteten die Leute dieses Geschehnis als Sündenschuld, als Rache des Ortsheiligen gegen seine pietätlosen Schützlinge !! Der Anschluß an die Industrialisierung gelang in Eggenstein nicht zuletzt durch die Nähe zur Großstadt Karlsruhe recht gut. Hier entstanden gleich mehrere Ziegeleien auf Gemeindegebiet sowie ein Kalkbrennofen an der Gemarkungsgrenze zu Teutschneureut. Mehrere Brauereien nahmen ihren Betrieb auf. Auch die heutige Brauerei Hoepfner in Karlsruhe hatte hier übrigens einen ihrer Ursprünge. Im beginnenden 20. Jahrhundert entstand im Süden des Dorfes ein Industriegebiet mit Bahnanschluß. Die angesiedelte Rohspritbrennerei des Fabrikanten Würzburger wollte die Eggensteiner aber nicht begeistern, sorgten doch Emissionen und Abwässer der Fabrik für den ersten Umweltgau in der Gemeindegeschichte. An Leopoldshafen war die Industrialisierung der Moderne nahezu unberührt vorübergezogen. Zwar hatte sich 1789 im ehemaligen Salpetersiedereigebäude eine Kristallglasfabrik und 1838 eine Ziegelhütte etabliert, der geringe Umfang der Gemarkungsfläche und ungünstige Standortfaktoren bei der Verkehrsanbindung verhinderte aber weitere Fortschritte.

Auch im medizinischen Bereich wurde die Versorgung der Dorfbewohner immer besser. Waren vor 1892 die Ortseinwohner ein- bis zweimal in der Woche von einem umherreisenden Arzt betreut worden, ließ sich im genannten Jahr mit Dr. Schmitz erstmals ein moderner Mediziner in der Gemeinde nieder. Es folgte Dr. Bönner und 1897 der bekannte Rheinländer Dr. Esser, der übrigens als erster Autobesitzer in der gesamten Hardt galt. Ab 1902 waren mit der Gründung der Flora-Apotheke sogar erstmals im Dorfe medizinische Produkte direkt erhältlich.

Der Text stammt von Steffen Dirschka, ehemaliger Gemeindearchivar. Er wurde von Wolfgang Knobloch, ehrenamtlicher Museumsleiter, und der Gemeindearchivarin Katrin Kranich fortgeschrieben. Ausführlicher können Sie alles in den Chroniken der beiden Ortsgemeinden nachlesen, die im Rathaus und der Buchhandlung Krissel erhältlich sind.